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Munzer Super-Cup 2016 Sindelfingen / Bericht und Stimmen

(tho) Es gab Momente, da war man als Zuschauer an diesem launigen Abend in der Sindelfinger Sommerhofenhalle schlichtweg überfordert. Kaum hatte man den Fokus auf das Einzel von Timo Boll gerichtet, schon vernahm man von anderen Zuschauern begeisternde Ah’s und Oh’s, als diese am Nebentisch bei Tischtennis-Mozart Jan-Ove Waldner zuschauten. Beim vom VfL Sindelfingen ausgerichteten Munzer-Cup stimmte die Mischung zwischen Spitzensport und einer gewissen Portion Slapstick – und 750 Zuschauer kamen voll auf ihre Kosten.

Wie schon vor drei Jahren hatte die Tischtennisabteilung des VfL Sindelfingen zum Munzer-Cup eingeladen – und die Tischtennisfans aus der Region strömten in Scharen. Sie alle wollten die Auftritte der Tischtenniskünstler aus aktuellen und vergangenen Erfolgstagen nicht verpassen. So brandete in der Halle bereits vor Turnierbeginn Beifall auf, als Timo Boll, Deutschlands „Mister Tischtennis“ und zuletzt Fahnenträger des Olympiateams in Rio de Janeiro, an den Tisch ging, um sich einzuspielen. Dasselbe wurde den schwedischen Topstars Jan-Ove Waldner und Jörgen Persson zuteil, die hierzulande auf einer ähnlichen Sympathiewelle schwimmen. Immerhin waren es die beiden, die in den Achtziger und Neunziger Jahren die chinesische (Tischtennis-)Mauer zum Wackeln brachten und mit ihren Erfolgen bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen für Furore sorgten. Das erlesene Feld bei diesem Mini-Turnier komplettierten der Defensivkünstler Wang Xi, seit Jahren einer der besten Bundesligaspieler, der wieselflinke portugiesische Nationalspieler Marcos Freitas und Petr Korbel aus Tschechien, der kurzfristig für den verhinderten Österreicher Chen Weixing einsprang.

Viel Lob gab es bei der offiziellen Begrüßung für die Sindelfinger Tischtennisabteilung um Carsten Seeger, der das Ganze nicht unkommentiert ließ. Seeger: „Unsere Abteilung zieht mit einem 30-köpfigen Helferteam begeistert mit. Ein großer Dank gilt natürlich auch den Sponsoren, die uns hier tatkräftig unterstützen.“ Besonders freute man sich im Sindelfinger Lager auf den Besuch einer fünfköpfigen Delegation aus der französischen Partnerstadt Corbeil-Essonnes.

Der sportliche Teil der Veranstaltung wurde von Thomas Walter, dem Geschäftsführer des Tischtennisverbands Württemberg-Hohenzollern, moderiert, einen recht stressfreien Abend genoss das Schiedsrichterteam mit Andreas Kopp (SV Rohrau), Jacqueline Pirk (VfL Herrenberg) und Christian Hoffmann vom gastgebenden VfL Sindelfingen. Auch wenn der sportliche Ehrgeiz an diesem Abend unverkennbar war, so nahmen es die Protagonisten mit dem Regelwerk nicht immer ganz genau. So konnte es passieren, dass bei nicht enden wollenden Ballwechseln mit Angriffslust auf der einen und Ballonabwehrkünsten auf der anderen Seite auch mal der Tisch verschoben wurde, um den Ball doch noch an der richtigen Stelle landen zu sehen. Die Schiedsrichter nahmen diese Einlagen gelassen zur Kenntnis, ohne den Sinn für das Wesentliche zu verlieren. Oberschiedsrichter Andreas Kopp: „Auch wenn es hier nicht ganz bierernst zur Sache geht, so können gerade unsere beiden jungen Verbandsschiedsrichter hier viel Erfahrung sammeln.“

Abseits jeglicher Slapstickeinlagen, die an diesem Abend nicht fehlen durften, gab es auch Weltklassesport zu bestaunen. Vor allem das Match zwischen Timo Boll und Marcos Freitas ließ die Fans mit der Zunge schnalzen. Letztlich setzte sich der sechsfache Einzel-Europameister aus Deutschland durch, so dass für ihn erneut – wie schon in den vergangenen vier Veranstaltungen der laufenden Woche – der Weg ins Finale geebnet war. In der anderen Gruppe setzte sich Jörgen Persson durch. Trotz seiner mittlerweile 50 Jahre ist der Einzelweltmeister von 1991 und Olympia-Vierte im Einzel 2008 immer noch topfit. Thomas Walter: „Mehr als ein Vierteljahrhundert spielte Persson in der Weltspitze. Er könnte noch heute problemlos in der zweiten Bundesliga spielen, vielleicht sogar am hinteren Paarkreuz in der Bundesliga.“ Sein Duell gleich zu Beginn gegen Tischtennis-Ikone Jan-Ove Waldner sorgte für Beifallsstürme. Waldner, etwas fülliger geworden, bewies an diesem Abend immer wieder, dass er nichts von seinem genialen Ballgefühl eingebüßt hat. Die beiden „alten Schweden“ zeigten das ganze Portfolio der hohen Tischtenniskunst, das Repertoire an Finessen und sehenswerten Ballwechseln schien unendlich. Und am Ende gewann Persson, der nach einem weiteren Erfolg über den Tschechen Korbel den Finaleinzug schaffte.

Vor dem Endspiel waren die Spieler noch in anderer Weise gefordert. Schließlich zog sich die Schlange an jungen Autogrammjägern über die gesamte Hallenlänge, die Tischtennisstars hatten alle Hände voll zu tun beim Signieren von Karten, Trikots und anderen Utensilien. So gab es nach der Pause großen Applaus für Timo Boll & Co., die geduldig alle Autogrammwünsche erfüllten. Noch einmal Thomas Walter: „Es fasziniert mich, dass im Zeitalter von Smartphones und neuen Medien über zweihundert Kinder Schlange standen, um Autogramme von den Stars zu ergattern.“

Danach war der Center Court gerichtet für das große Finale zwischen Timo Boll und Jörgen Persson, das unter Wettkampfbedingungen doch recht einseitig verlief. Die ersten beiden Sätze gingen deutlich an Boll und auch im dritten Satz beim Stand von 10:6 schienen die Fronten geklärt. Dem Schweden wurde es dann zu bunt, er forderte Unterstützung von der Spielfeldumrandung an und so kam der junge Miguel in den Genuss, einige Ballwechsel mit Timo Boll zu absolvieren. Als letzte Einlage spielten die beiden Stars dann noch gleichzeitig mit zwei Bällen, um danach dem launigen Treiben ein Ende zu bereiten. Im Gegensatz zu 2013, als Dimitrij Ovtcharov das Endspiel von Sindelfingen gewann, durfte nun Timo Boll den großen Pokal in Empfang nehmen.

Auf Stimmenfang
Carsten Seeger (Abteilungsleiter VfL Sindelfingen, vor dem Finale): „Ich hoffe, dass Timo Boll körperlich durchhält, er hat angeblich Nackenbeschwerden. Der Turnierpromotor Daniel Suchanek fragte bereits an, ob wir in unseren Reihen einen Masseur hätten. Damit konnten wir jedoch leider nicht dienen.“

Christian Hoffmann (VfL Sindelfingen, mit 17 Jahren einer der jüngsten Verbandsschiedsrichter): „Eines meiner bisherigen Highlights als Schiedsrichter war das Bundesranglistenturnier der Jugend in Neuenstein, wo es die Stars von morgen zu sehen gab. Der Munzer-Cup heute ist natürlich eine besondere Veranstaltung für mich und es ist toll, mal einige aktuelle Stars als Tischschiedsrichter hautnah zu erleben.“

Wolfgang Günther (Maichingen): „Ich bin auf Einladung eines Sindelfinger Vereinskollegen hierhergekommen und muss sagen, dass es eine tolle Veranstaltung ist. Ich habe früher selbst Tischtennis gespielt. Was mir besonders gut gefällt, ist die Mischung aus Spaß und Ernsthaftigkeit, die hier an den Tag gelegt wird. Das Einzel zwischen Timo Boll und Marcos Freitas war einer der spielerischen Höhepunkte.“

Joachim Günther (Jugendleiter bei der SKV Rutesheim): „Es ist schon Wahnsinn, was Timo Boll & Co. hier auf die Tische zaubern. Auch wenn der sportliche Ehrgeiz da ist, so ist es doch hauptsächlich die Show und das Spektakel, was die Leute sehen wollen.“

Rainer Stolz (SV Rohrau): „Die beiden Begegnungen gleich zu Beginn stellten die optimale Mischung dar. Auf der einen Seite spielten Timo Boll und Wang Xi Weltklassetischtennis im Duell Angriff gegen Abwehr und am Tisch nebenan standen sich die schwedischen Routiniers Jan-Ove Waldner und Jörgen Persson gegenüber und zelebrierten den Tischtennissport mit sehenswerten Ballwechseln.“

Falk Waidelich (VfL Stammheim, aktiv bei den SF Gechingen): „Ich bin mit meinen drei Jungs hier, die genauso wie ich auch alle Tischtennis spielen. Die Jungs waren die ganze Woche über schon recht angespannt und als das Gerücht die Runde machte, dass Timo Boll eventuell nicht kommt, waren sie kurz mal recht enttäuscht. Aber es ist ja alles gut gegangen und man konnte sich mit Autogrammen eindecken.“

Dieter Kurzidim (VfL Sindelfingen): „Teilweise habe ich mich heute gefühlt wie auf dem internationalen Straßenfest, man wurde richtig durchgeschoben. Ich finde es klasse, dass die Sindelfinger Tischtennisabteilung die lange Tradition aufrecht erhält und immer mal wieder größere Veranstaltungen auf die Beine stellt. Ich kann mich erinnern, dass wir schon Ende der Achtziger Jahre die Deutschen Seniorenmeisterschaften ausrichteten. Die derzeitige Vereinsführung macht da einen Superjob.“